walker hat geschrieben:1. Was veranlasst die Behörden, aufgrund einer aus objektiver Sicht eher „normalen“ Menge, Ermittlungen aufzunehmen, anstatt ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren einzuleiten? Zum Zeitpunkt der Beschlagnahme hatten die Beamten ja nur dieses eine Fundstück (Paket mit 180 tabs, eventuell waren noch ein paar Zugaben drin)?
Ich finde die ganze Geschichte nach wie vor ausgesprochen verworren! Auf alle Fälle werden hier Details entweder weggelassen oder mit Vermutungen vermischt.
Insbesondere erscheint es mir sinnvoll, bei sowas immer _genau_ anzugeben, welche Erkenntnisse tatsächlich gesichert sind, also hier insbesondere auf einer anwaltlichen Akteneinsicht beruhen und was nur aus den Fakten als Vermutung abgeleitet wird! Man kann nämlich alleine auf Grund des Vergleichs (also der Differenzbildung) von erhaltener zu bestellter Pillenanzahl in keiner Weise die Zahl der an den Beschuldigten versendeten Pillen ermitteln, die den Behörden zwischenzeitlich bekannt geworden sind. Das liegt weniger an der unbekannten Zahl von "Gratisbeigaben" (die sicher keinen dreistelligen Umfang ausmachen) sondern z.B. daran, dass der Shop zwischenzeitlich eine verschollen geglaubte Sendung erneut verschickt haben kann oder dass - wenn bereits strafrechtliche Ermittlungen laufen - sogar Sendungen unter Behördenkenntnis zugestellt werden können. Man lässt ja im Bereich von BTM-Sachen auch Drogenlieferungen durchlaufen, wenn sich davon die Aufklärung der dahinter steckenden Strukturen versprochen wird.
walker hat geschrieben:2. Wieso finden die Beamten 403 „hochdosierte Potenztabletten“ in einer Sendung, die lt. Bestellung nur 180 Pillen enthalten dürfte?
Ist es _gesichert_, dass sich der Vorwurf nur auf
EINE Sendung bezieht? Und/oder gab es vielleicht in dem ewig langen Zeitraum der Ermittlungstätigkeit eine Sendung, die ungefähr dieses Volumen hatte? Ob die angekommen ist oder nicht, spielt dabei keine zentrale Rolle.
walker hat geschrieben:3. Was ist zwischen Mai 2014 und September 2016 an weiteren Ermittlungsergebnissen zu Tage gefördert worden, das für den Vorwurf des „Handelns“ ausreicht, und eine groß angelegte Hausdurchsuchung rechtfertigt?
Das benötigte Stichwort ist "Akteneinsicht", nicht jedoch "Kristallkugel".
walker hat geschrieben:Zu 1
Hierfür gibt es keinen rationalen Grund, nur einen Erklärungsversuch: Es wurde auch zurückermittelt (Finanzermittlungen, getätigte Überweisungen an KE), und eine gewisse Zeit weiterermittelt (weitere Bestellungen bei KE und evtl. auch anderen shops, Zahlungsverkehr). Das Ergebnis dieser Ermittlungen kann im Maximalfall gewesen sein, dass der Verdächtige mehr oder weniger regelmäßig Medikamente einkauft.
Das stelle ich mir aber eher schwierig vor! Die Pillenshops, die Überweisungen akzeptieren, haben ja kein Konto auf den Namen des Shopbesitzers bei der örtlichen Sparkasse. Das sind Konten von Strohmännern im Ausland, bei denen die Zahlungswege im ureigenen Interesse des Shops so gut es geht verdeckt werden und die auch regelmäßig wechseln (ich erinnere mich jedenfalls an die Zeit, als ich noch bei KE bestellt habe, dass die Bankverbindung nicht jedes Mal die gleiche war). Und bei den Überweisungen selbst steht nur eine völlig unverdächtige Belegnummer im Verwendungszweck. Eine langfristige Überwachung solcher Bestellwege funktioniert also nur, wenn die Staatsanwaltschaft dem Shop schon extrem dicht auf den Fersen ist und die wechselnden Zahlungswege weitgehend ausermittelt sind. Nur auf Grund einer Einsicht in irgendwelche Zahlungsvorgänge eines Beschuldigten ist das nachträglich natürlich nicht möglich.
Wie weit die Ermittlungen gegen KE damals vorangekommen sind, weiß ich natürlich nicht. Da der Shop nicht ansatzweise seriös arbeitet, wird man da auch keine Infos erhalten. Immerhin scheinen die Betreiber noch auf freiem Fuß zu sein und arbeiten (mehr oder weniger) immer noch in dem Business. Andererseits gab es in der Vergangenheit ja ein plötzliches und unangekündigtes relativ langfristiges Abtauchen des Shops, für das niemals eine Erklärung abgegeben wurde - auch nicht im Nachgang nach der Wiederauferstehung des Shops. Dabei könnte es sich in der Tat um eine hektische Reaktion auf den Fahndungsdruck gehandelt haben.
walker hat geschrieben:Zu 2
Hierfür gibt es keine plausible Erklärung. Entweder KE hat sich bei der Kommissionierung derart vertan, dass mehr als die doppelte Menge als bestellt verpackt wurde, die Zollbeamten haben sich schlicht verzählt, oder – was aber auch abwegig ist – sie haben die Sendung aus anderen Funden, die wenig verfolgungswürdig sind, „aufgefüllt“, um einen Fall daraus zu konstruieren.
Halte ich für höchst unwahrscheinlich.
walker hat geschrieben:Zu 3
Außer der in 1. bereits genannten Ermittlungsergebnisse können die Ermittler keine weiteren Indizien für einen Handel gefunden haben. Weder durch Überwachungsmaßnahmen (Telefon, Mailverkehr, Beschattung, Kontobewegungen), noch durch Zeugenbefragungen oder sonstigen Ermittlungen können sich Indizien für den Vorwurf des Handeltreibens ergeben haben.
Ich weise nochmal darauf hin, dass "Handeltreiben" für die strafrechtliche Beurteilung _KEINE_ notwendige Bedingung ist! Das strafbewehrte Vergehen besteht im "Inverkehrbringen"! Das ist nämlich gerade kein Handel und eine Gewinnerzielungsabsicht mag dabei zwar in der Mehrzahl der Fälle aus verständlichen Gründen vorliegen, ist aber für den Tatbestand ebenfalls entbehrlich. Im AMG ist "Inverkehrbringen" eindeutig in § 4 Abs. 17 definiert. Das AMG ordnet das Vorrätighalten zum Verkauf der (strafbewerten) Tathandlung des Inverkehrbringen zu, das sieht auch der BGH letztinstanzlich genau so.
Ein Nachweis einer bereits erfolgten Abgabe ist also gar nicht notwendig! Erst rec ht nicht eine entgeltliche solche. Es genügt völlig, wenn der Staatsanwalt auf Grund der Ermittlungsergebnisse am Ende den Richter in dessen freier Beweiswürdigung dazu bringt, ohne einen vernünftigen Zweifel davon auszugehen, dass der Beschuldigte beim Vorrätighalten der Pillen bereits die Intention hatte, diese Medikamente der Verfügungsgewalt anderer Personen zu überlassen. Wie gesagt, es reicht bereits die "Intention", d.h. es bedarf keineswegs einer verwirklichten oder versuchten Abgabe, ja nicht einmal einem nach außen gerichteten Abgabewillen!
walker hat geschrieben:Physisch kann den Ermittlern seit Mai 2014 maximal 1 Sendung in die Hände gefallen sein, die nicht beim Beschuldigten angekommen ist.
Das ist als Schlussfolgerung unzulässig (siehe oben).
walker hat geschrieben:Ist das alles ein normales Procedere, liegt eine Verschwörung vor, oder ist das alles nur blöder Zufall?
Nichts genaues weiß man nicht...
Wenn es ausschließlich um eine aufgefundene Menge von knapp 200 Standarddosen von PDE-5-Hemmern gegangen ist, wäre das jedenfalls der erste bekannte Fall, bei dem so etwas zu einer Durchsuchung geführt hat. Es gab zwar schon in seltenen Fällen strafrechtliche Ermittlungen bei deutlich kleineren Mengen, aber für eine Durchsuchungsanordnung liegt die Latte schon recht hoch. Aber "unwahrscheinlich" und "noch nicht bekannt geworden" bedeutet ja keinesfalls, dass es _unmöglich_ wäre!
Dennoch vermute ich eher, dass im Laufe der Ermittlungen weitere Details bekannt geworden sind, es also insbesondere mindestens einen dringenden Verdacht auf weitere Pillenbestellungen durch den Beschuldigten gab, so dass die Durchsuchung zum Zweck des Auffindens eines größeren Pillenlagers berechtigt war.
Wenn der Anwalt des Beschuldigten nicht komplett inkompetent ist, kommt der am Ende wohl vergleichsweise ungeschoren aus der Sache heraus, dennoch ist das für einen Betroffenen sicherlich wenig amüsant.
Für die Leser dieses Forums bleibt letztendlich nur, sich mal wieder an ein paar Regeln zu erinnern, um das Risiko einer Entdeckung, zumindest aber die möglichen Folgen einer Entdeckung, in akzeptablem Rahmen zu halten:
- Keine Bestellungen von großen Mengen! Lieber auf ein paar Euro Rabatt verzichten, man bekommt auch beim Kauf von 50-100 Standarddosierungen schon günstige Preise.
- Es gibt genug empfohlene Bezugsquellen, also zur Sicherheit nicht immer bei einem Shop bestellen!
- Niemals bei Shops bestellen, die unter "Warnungen" gelistet sind! Ob die gerade liefern oder nicht, ist da _nicht_ das Kriterium!
- Shops meiden, die offensichtlich zu wenig Wert auf Datenschutz legen, also Userdaten ewig speichern oder Zahlungswege nicht regelmäßig ändern.
- Poweruser oder Sammelbesteller sollten dringend über ein anonymes Dropping incl. anonymer Zahlungswege (z.B. Bitcoins) nachdenken!
ciao
Flocki