Ich möchte User "Flocki" (Mediziner?) nicht widersprechen und bin in diesem Forum auch noch recht neu. Dennoch möchte ich auf folgendes hinweisen:
1) In der von von "Flocki" zitierten Studie (einmal davon abgesehen, daß man das Testsample "intravenöse Drogenabhängige" sicher kritisch sehen kann)
http://anonymz.com/?http://www.scienced ... 7-main.pdf wurde NICHT Truvada von Gilead (bzw. dessen Generikum Tenvir-EM von Cipla) getestet, sondern das Monopräparat Tenofovir. Bei dem (bisher einzigen!) von der FDA für die Prophylaxe PrEP zugelassenen Medikament Truvada (inc. Generika) handelt es sich aber um ein Kombinationspräparat aus Tenovofir und Emtricitabine in festem Dosisverhältnis).
Es ist aus der HIV-Therapieforschung bekannt, daß einzelne Wirkstoffe in der Behandlung einer Infektion dauerhaft unwirksam sind und nur eine Kombinationstherapie mehrerer verschiedener Wirkstoffe aus verschiedenen Wirkstoffklassen (meist vier, teilweise 2 oder 3) eine zuverlässige Therapie gewährleisten. Es wäre nicht überraschend, für den Fall der Prophylaxe ähnliche Ergebnisse zu finden. Eine Aussage über den Einsatz von Truvada und ähnlichen Kombinationen als PrEP, die auf DIESER Studie basiert, ist deshalb nicht seriös.
2) Wissenschaftliche Originalveröffentlichungen zu den von mir zitierten Studien finden sich z.B. hier:
a) PROUD - Studie:
http://www.proud.mrc.ac.uk/
(unterstützt vom UK-Gesundheitsministerium), wurde auch in der LANCET publiziert wie die von "Flocki" zitierte Studie
b) IPERGAY - Studie:
http://www.ipergay.fr/
Diese untersucht allerdings hauptsächlich "Intervall-" und "On Demand"-Einnahmeschemata, die zumindest ich ausdrücklich nicht empfehlen würde
c) Es gibt inzwischen auch die IPrEx-OLE-Studie, eine Erweiterung der ursprünglichen iPrEx-Studie, bei der auf die Kontrollgruppe verzichtet wurde, um allen Teilnehmern den möglcihen Schutz durch PrEP zu ermöglichen:
http://www.iprexole.com/1pages/prep/pre ... xstudy.php
Hier wurde insgesamt nur eine 50-prozentige Schutzquote beobachtet, allerdings wurden die Blutwerte regelmäßig kontrolliert. Bei Teilnehmern, deren Blutwerte die Einnahme von höchstens 1 Tablette pro Woche nachwiesen, wurde kein Schutzeffekt nachgewiesen; Teilnehmer mit 2-3 Tabletten pro Woche waren zu 84% besser geschützt; Teilnehmer, die mindestens 4 Tabletten pro Woche genommen hatten, waren in der Studie zu 100% vor HIV geschützt (es trat keine einzige Infektion in dieser Gruppe auf).
Einen kleinen Überblick und eine Einordnung gibt auch folgende (pro-PrEP eingestellte, aber m.E. nicht unsachliche) Site:
http://www.comeprepd.info/studies/
Alle mir bekannten und in wissenschaftlichen Journalen veröffentlichten Studien, in denen die "Compliance" (Einnahmetreue) durch Messung der Wirkstoffspiegel im Blut überwacht wurde und die die Wirkstoffkombination von Truvada verwenden, zeigen für Teilnehmer mit vollständiger Compliance eine Schutzwirkung von 95 bis 100%. Das als "Märchen" zu bezeichnen, finde ich etwas wenig faktenbasiert.
3) Ja, natürlich kann jeder Erwachsene, der nicht minderbemittelt ist, seine eigenen Risikoabwägungen treffen. So wie es Menschen gibt, die "unsafer" Sex praktizieren, gibt es auch welche, die Fallschirm springen und "vermeidbare Risiken" eingehen. Den (korrekten) Einsatz von PrEP bei Weglassen von Kondomen als "suizidal" zu bezeichnen, finde ich aber unsachlich - das Risiko einer HIV-Infektion ist, vielleicht bestreitet "Flocki" wenigstens das nicht, MASSIV geringer als bei vollständig ungeschütztem Sex, und nach allen seriösen Studien von TRUVADA nicht wesentlich höher als beim Gebrauch von Kondomen. Neben "normalen STDs" verbleibt das Risiko einer Hepatitisinfektion, die lebensbedrohlich sein kann, allerdings seit wenigen Jahren (wenn auch mit extrem hohem finanziellem Aufwand) auch in 90-98% der Fälle therapier- und heilbar. Ich würde sicher niemand empfehlen, bei "Risikokontakten" Kondome wegzulassen und sich allein auf PrEP zu verlassen - aber "suizidal" ist das ganz sicher nicht. Sonst würden wohl auch kaum ganze Ärzteorganisationen in zahlreichen Ländern eine Empfehlung für PrEP aussprechen (wenn auch meist "politically correct" mit dem pflichtschuldigen Hinweis, zusätzliche Schutzmaßnahmen wären natürlich immer besser), und weder würden die Arzneimittelzubehörden in zahlreichen Ländern diese für die Indikation "Prophylaxe" zulassen, noch Krankenversicherungen sie bezahlen.
4) Nein, ich bin nicht mit der Pharmaindustrie, Gilead oder Cipla "verbandelt" und erhalte auch keinerlei Provisionen oder Vorteile irgendwelcher mit dem Thema HIV oder PrEP befaßter Organisationen oder Firmen, bin auch kein Arzt. Ich bin als sexuell sehr aktiver Mensch am Thema hochinteressiert und mit etwas wissenschaftlicher Bildung, insbesondere zu Statistik, Stochastik, und den Verfahren bei medizinischen Studien versehen. Ich habe mich mit dem Thema seit Jahren beschäftigt und kenne einige Spezialisten auf diesem Gebiet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Also, von mir aus abschließend zu diesem Thema: PrEP ist EINE relativ neue, überwiegend noch relativ teure, Option zur deutlichen Verringerung des Risikos einer HIV-Infektion durch sexuelle Kontakte mit Personen unbekannten HIV-Status oder HIV-Positiven. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist unter Wissenschaftlern Konsens, und nicht nur unter denen, die von der Pharmaindustrie direkt oder indirekt bezahlt werden. Unter anderem auch von nicht wenigen in der Infektionsmedizin und HIV-Prävention und -Therapie tätigen Ärzten, die ich persönlich kenne und denen indirekt Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen ich unangemessen fände.